In der Praxis

Controlling in der Arztpraxis

Teil 2

Autor:
Professor Dr. Erik Rederer
Studienfachberater Betriebswirtschaft
Leitung Kompetenzzentrum Finance, Accounting, Controlling, Taxation
Mitglied im Institut für Vernetzte Gesundheit
In Kooperation mit der Hochschule Neu-Ulm

Lesedauer: 3,5 min
  

Die ambulante ärztliche Versorgung ist in den letzten Jahren durch dynamische Veränderungen geprägt. Exemplarisch seien hier die Corona-Pandemie, die ärztliche Versorgung in der Fläche, die Digitalisierung der Versorgung, z. B. im Rahmen von Videosprechstunden, oder die Bildung von MVZ-Ketten genannt. Die einzelne Arztpraxis muss sich in diesem Umfeld mittel- und langfristig positionieren, sollte aber kurzfristig auch gewährleisten, dass der Praxisbetrieb wirtschaftlich erfolgt. Diese Wirtschaftlichkeit bildet die Voraussetzung für einen angemessenen Unternehmerlohn sowie die erforderliche soziale Absicherung des Inhabers.

Wesentliche Beiträge kann in diesem Zusammenhang das Praxiscontrolling leisten. Es kann dazu beitragen, Fehlentwicklungen, z. B. unerwartete Kostensteigerungen für Hygienematerialien, frühzeitig zu erkennen, Wirtschaftlichkeitspotenziale zu erkennen und zu heben, z. B. bei der Nutzung von Praxissoftware oder bessere Entscheidungen über das zukünftige Leistungsportfolio zu treffen, z. B. im Hinblick auf den Aufbau neuer Leistungsangebote. Vergleicht man Arztpraxen mit Unternehmen anderer Branchen, dann lässt sich vielfach beobachten, dass sich Controlling-Systeme in zahlreichen Praxen und MVZ erst im Aufbau befinden und ein erhebliches Potenzial für eine optimierte Steuerung des Praxisbetriebs bergen.

Im Controlling geht es um eine aktive Planung, Lenkung und Steuerung wesentlicher Aktivitäten mit dem Ziel, möglichst frühzeitig eingreifen zu können, wenn sich abzeichnet, dass die Arztpraxis ihre Ziele verfehlen wird (vgl. Zapp et al. 2015, S. 15).

Im Rahmen eines Controlling-Zyklus werden idealtypisch mehrere Prozess-Schritte durchlaufen. Basierend auf der Strategie der Arztpraxis werden entsprechende Ziele formuliert, z. B. Umsatz- oder Marktanteilsziele in der Region. Diese Ziele werden dann in der Planung auf Perioden heruntergebrochen, z. B. Jahre oder Quartale. Dies ermöglicht die kontinuierliche Lenkung des Praxisbetriebs. Aus der Umsatz-, Kosten- und Gewinnplanung lassen sich z. B. Kostenbudgets für Personal, Material oder bezogene Laborleistungen ableiten. Hier können dann im nächsten Schritt entsprechende Kontrollen und Abweichungsanalysen stattfinden. Schließlich kann es auch erforderlich sein, die Planungswerte und abgeleitete Budgets etc. anzupassen bzw. zu korrigieren, z. B. wenn sich unvorhersehbare Änderungen ergeben. Vor dem Hintergrund zahlreicher Reformvorhaben im Gesundheitswesen, deren Effekte teilweise nur schwer prognostizierbar sind, ist die Planung dabei mittlerweile deutlich anspruchsvoller als vor einigen Jahren.

Im Rahmen des Praxiscontrollings kann zwischen kurzfristig orientierten, operativen und langfristig angelegten Instrumenten unterschieden werden (vgl. Frodl 2016, S. 351). Die Deckungsbeitragsrechnung oder Budgetierung zählen typischerweise zu den operativen Controllinginstrumenten. Benchmarking, Prozesscontrolling oder Outsourcing-Analysen werden eher dem strategischen Controlling zugeordnet. Im Rahmen der Anwendung dieser Instrumente werden in der Regel Kennzahlen zur Steuerung generiert, die dann in ein entsprechendes Berichtswesen überführt werden.

Bei der Deckungsbeitragsrechnung in einer Arztpraxis geht es darum, zu ermitteln, welchen Beitrag einzelne medizinische Leistungen, z.B. eine ambulante OP oder ein Hautkrebsscreening, zur Deckung der Fixkosten einer Arztpraxis, leisten. (vgl. Ampofo 2016, S. 82). In diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung zwischen variablen und fixen Kosten in der Arztpraxis relevant. Während die Fixkosten einer Arztpraxis unabhängig von der Menge der erbrachten medizinischen Leistungen sind, z. B. die Miete, verändern sich die variablen Kosten mit der Anzahl der erbrachten medizinischen Leistungen, z. B. medizinische Verbrauchsmaterialien (vgl. Ampofo 2016, S. 80). Zieht man nun vom Umsatz, den die Arztpraxis mit einer medizinischen Leistung generiert, die variablen Kosten ab, dann erhält man den sogenannten Deckungsbeitrag. Medizinische Leistungen mit einem hohen Deckungsbeitrag tragen folglich in besonderem Maße zur Deckung der Fixkosten bei (vgl. Ampofo 2016, S. 82). Erst wenn alle Fixkosten gedeckt sind, bewegt sich die Arztpraxis in eine Situation, die mit einem unmit-telbaren Gewinn verbunden ist (vgl. Vollmuth 2011, S. 42).

In der nachfolgenden Abbildung wird eine Deckungsbeitragsbeitragsrechnung für eine Arztpraxis exemplarisch und stark vereinfacht dargestellt.


Beispiel für eine Deckungsbeitragsrechnung in Arztpraxen

Dienstleistung 1Dienstleistung 2Gesamt
Umsatz100.00080.000180.000
Variable Kosten der Dienstleistung70.00060.000130.000
Deckungsbeitrag (Umsatz - variable Kosten)30.00020.00050.000
Fixkosten30.000
Ergebnis (Deckungsbeitrag - Fixkosten)20.000

Quelle: Frodl 2016, S. 307, modifiziert


Im Mittelpunkt des Benchmarkings stehen systematische Vergleiche. Als Vergleichsmaßstab können dabei u.a. Vergangenheitswerte, Sollwerte oder auch die Wert anderer Praxen bzw. Durchschnittsgrößen von mehreren Praxen herangezogen werden (vgl. Frodl 2016, S. 352ff.). Als Benchmarking-Objekte kommen z. B. einzelne Kennzahlen (s.u.) oder Prozesse in Betracht. Unterscheiden sich beispielsweise die Personalkostenquoten oder die jeweils erforderliche Zeit bis zur Erstellung des Arztbriefes zwischen zwei vergleichbaren Arztpraxen erheblich, kann in einem nächsten Schritt die Ursachenanalyse erfolgen. Unterschiede im Lohnniveau, in der Aufgabenverteilung zwischen Praxisinhaber und Mitarbeitern sowie untereinander oder in der Nutzung von Softwaresystemen können hier mögliche Ursachen darstellen, aus denen sich wiederum konkrete Maßnahmen ableiten lassen.

Arztpraxen stellen klassische Gesundheitsdienstleister dar, die neben der Akutbehandlung prophylaktische und therapeutische Dienstleistungen anbieten. Dabei kann der Patient als „Co-Produzent“ angesehen werden, der sich dort in Behandlung begibt, wo er erwarten kann, nach dem aktuellen medizinischen Stand versorgt zu werden (vgl. Frodl 2012, S. 334f.) und rasche Linderung seiner Beschwerden zu erlangen. Für die Erreichung dieses Ziels sind diverse Prozesse erforderlich, z. B. diagnostische Prozesse, ambulante Operationen oder Prozesse in der Verwaltung. Das Prozesscontrolling der Arztpraxis muss dabei die drei zentralen Parameter der Prozessperformance – Qualität/Risiko, Zeit und Kosten – im Blick haben (vgl. Zapp et al. 2015, S. 110). Beispielhaft sei hier eine endoskopische Untersuchung aufgeführt, die es unter den Zeit- und Kostenaspekten zu optimieren gilt, ohne die Qualität des Untersuchungsergebnisses zu reduzieren bzw. den Patienten unnötigen Risiken auszusetzen.

 

Beitragsserie mit der HNU: Controlling

Die zunehmende Komplexität des Betriebs von Arztpraxen – man denke nur an das Thema IT und Datenschutz – führt dazu, dass sich immer Arztpraxen auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und unterstützende Dienstleistungen outsourcen, d. h. an externe Dienstleister fremdvergeben. Dabei werden mittlerweile immer mehr Leistungen von spezialisierten Dienstleistern angeboten. Im Kontext von Arztpraxen finden sich spezialisierte Dienstleister u.a. in den Bereichen Abrechnung, Forderungsmanagement, IT/Datenschutz oder Einkauf. (vgl. Erichsen 2011, S. 242f.). Entscheidungen können hier auf Basis eines systematischen Kostenvergleichs erfolgen, der für zu definierende Leistungsmengen die Kosten einer internen Leistungserstellung denjenigen einer gegenüberstellt. Ergänzend sollten allerdings Faktoren wie Faktoren wie Referenzen, Qualität oder Zuverlässigkeit berücksichtigt werden (vgl. Erichsen 2011, S. 252f.).

Kennzahlen bilden ein zentrales Element des Praxiscontrollings. Letztlich werden mit ihnen Sachverhalte der Arztpraxis, die sich quantitativ erfassen lassen, wiedergegeben. Der Praxisinhaber erhält so einen komprimierten Überblick über die Situation der Praxis bzw. einzelner Teilbereiche. Dabei lassen sich grundsätzliche Produktivitätskennzahlen, z. B. Umsatz je Vollkraft, Wirtschaftlichkeits-/Rentabilitätskennzahlen, z. B. Praxisgewinn/Umsatz und Qualitätskennzahlen, z. B. Patientenzufriedenheit unterscheiden (vgl. Frodl 2016, S. 355f.). Personal- und Materialkostenquote, der Umsatz pro Zuweiser, der durchschnittliche KV-Umsatz je Patient, Umsatzanteile mit Privatversicherten/Selbstzahlern aber auch Personalkennzahlen wie Fluktuation oder Überstundenquote stellen weitere Kennzahlen dar, die für die Steuerung der Arztpraxis herangezogen werden können.

Da die Aussagekraft einzelner Kennzahlen vielfach begrenzt ist, wurden in den letzten Jahren vielfach sog. Kennzahlensystem entwickelt, die einzelne Kennzahlen systematisch verknüpfen (Vgl. Frodl 2016, S.357). Ein Beispiel dafür ist der Balanced Scorecard-Ansatz, der aus den strategischen Praxiszielen Ziele für einzelne Perspektiven (Finanzen, Kunden, Prozesse und Mitarbeiter) ableitet und dann Messgrößen definiert, anhand derer bewertet werden kann, ob die Arztpraxis „auf Kurs“ ist. Diese Überlegungen werden dann typischerweise noch um konkrete Maßnahmen zur Zielerreichung ergänzt (vgl. Fischer 2021, S. 29). Nachfolgend ist eine Balanced Scorecard für Arztpraxen auszugsweise dargestellt.


Tabelle 1: Exemplarische Darstellung einer Balanced Scorecard in der Arztpraxis (Auszug)

PerspektiveZielKennzahl
FinanzenOptimierung der Kostenstruktur und Liquidität sichernCashflow/Personal- und Materialkostenquote
KundenMarktposition ausbauen/Zufriedenheit erhöhenMarktanteil regional/Indexwerte Patienten- und Zuweiserbefragungen
ProzesseOptimierung der AblauforganisationDurchschnittliche Wartezeit in der Praxis
MitarbeiterErhöhung des QualifikationsniveausAnzahl Weiterbildungstage pro Mitarbeiter

Quelle: Fischer (2021), S. 30, modifiziert und ergänzt


Neben den bislang genannten Bereichen kann sich das Praxiscontrolling auch auf Investitionen oder die Qualität der Praxis beziehen. Hier sind dann spezifische Methoden oder Kennzahlen erforderlich, die in separaten Beiträgen beschrieben sind. Da auch in Arztpraxen immer häufiger in Form von Projekten gearbeitet wird, hat in den letzten Jahren das Projektcontrolling an Bedeutung gewonnen. Bauprojekte oder die Einführung einer neuen Praxissoftware seien hier exemplarisch genannt. Hier zielen Steuerungsgrößen v.a. auf die Einhaltung von Zeit- und Kostenplänen ab.

Im Wettbewerb, der zunehmend auch in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung zu beobachten, wird die engmaschige Steuerung der Arztpraxis bzw. einzelner Bereiche immer wichtiger. Die Steuerung erfordert sowohl den Einsatz operativer als auch strategischer Controlling-Instrumente. Dabei gilt es, die verfügbaren Controlling-Instrumente bestmöglich an die Spezifika der Arztpraxis anzupassen, z. B einzelne Kennzahlen, und aus den vorliegenden Informationen bestmögliche Entscheidungen abzuleiten. Um den Aufwand, der mit der dem Aufbau eines Controllingsystems verbunden ist, in Grenzen zu halten, empfiehlt sich eine enge Anbindung das Praxisinformationssystem.



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In unserer Serie beleuchten Experten der Hochschule Neu-Ulm verschiedene praxisrelevante Themen für Sie.

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Quellen:

Ampofo, A. (2016), Betriebswirtschaftliche Grundlagen für Mediziner und medizinisches Fachpersonal, Springer Fachmedien, Wiesbaden

Erichsen, J. (2011). Controlling-Instrumente von A-Z, 8. Auflage, Haufe-Lexware, Freiburg.

Fischer, G. (2021), Die Arztpraxis. Erlöse optimieren - Kosten reduzieren, ecomed Medizin, Landsberg am Lech
Frodl, A. (2012), Marketing im Gesundheitsbetrieb, in: Hoffmann, S./Schwarz, U./Mai, R. (Hrsg.), Angewandtes Gesundheitsmarketing, S. 323-342

Frodl. A. (2016), Praxisführung für Ärzte. Kosten senken, Effizienz steigern, 2. Auflage, Springer/Gabler, Wiesbaden

Vollmuth, H. J. (2011): Controlling-Instrumente, 5. Auflage, Haufe-Lexware, Freiburg

Zapp W., Oswald J., Neumann S., Wacker F., (2015): Controlling und Reporting im Kranken-haus, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart.
  


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