In der Praxis

Digitalisierung in der Patientenversorgung

Teil 1

Autor:
Professor Dr. Patrick Da-Cruz
Praxisbeauftragter Betriebswirtschaft im Gesundheitswesen
Studiengangleitung Führung und Management im Gesundheitswesen
Leiter des Weiterbildungsprogramms Digitalisierung und KI im Gesundheitswesen
Mitglied im Institut für Vernetzte Gesundheit
In Kooperation mit der Hochschule Neu-Ulm

Lesedauer: 4 min
 

Über Jahrzehnte bestand die Patientenversorgung im Wesentlichen aus Aufenthalten und Behandlungen in stationären und ambulanten Gesundheitseinrichtungen, ggf. ergänzt durch einzelne Leistungen im häuslichen Umfeld, z. B. Hausarztbesuche oder ambulante Pflegedienste. An den Grenzen der Sektoren kam es aufgrund unzureichender Datenvernetzung vielfach zu Doppeluntersuchungen, Unterbrechungen in der Versorgung oder auch unzureichend abgestimmten Therapien. Für Patientinnen und Patienten war es bis vor kurzem noch schwierig, mit einem überschaubaren Aufwand an qualitätsgesicherte und verständliche Informationen zu Krankheitsbildern zu kommen. Der zeitnahe Zugang zur haus- und fachärztlichen Versorgung ist mittlerweile nicht mehr durchgängig gewährleistet. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Rolle Digitalisierung und KI (Künstliche Intelligenz) in diesem Zusammenhang zukünftig spielen können. Digitalisierung und insbesondere KI verändern die Patientenversorgung bereits seit einiger Zeit und haben in der Pandemie auch die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit erlangt.  

Dabei ist auch zukünftig von einer dynamischen Entwicklung auszugehen. Die Anzahl an KI-Anwendungen in der Medizin bspw. wächst derzeit rasant und dürfte erhebliche Auswirkungen auf die Patientenversorgung haben. Beispiele finden sich mittlerweile in zahlreichen Fachgebieten, z. B. in der Kardiologie, der Dermatologie der Gastroenterologie der Neurologie der Ophthalmologie oder der Radiologie (vgl. Poalelungi 2023 et al., S. 4ff., die hier 52 wissenschaftliche Artikel auflisten). 


Bedeutung einer Hybridversorgung


Für reine Digitalanbieter ist es vielfach schwierig, robuste Geschäftsmodelle zu entwickeln. Gerade im Bereich der Diagnostik und Therapie müssen Leistungen vielfach in den Gesundheitseinrichtungen vor Ort erbracht werden. In diesem Zusammenhang gewinnt das Konzept einer Hybridversorgung, d. h. einer Versorgung, die virtuelle Kontakte und Besuche vor Ort kombiniert, an Bedeutung. Die Patienten-Journey, d. h. der Weg des Patienten durch die einzelnen Bereiche des Gesundheitswesens, würde sich hier von eher punktuellen Besuchen bei Leistungserbringern hin zu einer kontinuierlichen und sektorenübergreifenden Versorgung verändern, wobei im Bereich der ambulanten Versorgung, der Rehabilitation und der Pflege besondere Potenziale vermutet werden (Klar et al. 2024, S. 1). Damit verbunden sind oftmals neue Patienten-Journeys, in denen verstärkt digitale Technologien zum Einsatz kommen. Nachfolgend ist eine exemplarische digitale Patienten-Journey dargestellt, die sowohl mögliche Kontaktpunkte als auch digitale Technologien, die in den einzelnen Phasen genutzt werden, darstellt (vgl. Bolz et al. 2024, S. 92ff.)


Digitale Technologien und ihr Einfluss auf die Patienten-Journey

 

Schritt Kontaktpunkte Digitale Technologien
Recherche des Patienten online, Haus- oder Facharzt Suchmaschinen, Webseiten, KI Chatbots, Symptomchecker
Behandlersuche (Haus-/ Facharzt, Heilpraktiker, Phyisotherapeut etc.) online, Bekannte, Freunde Suchmaschinen, Webseiten, Blogs, etc.
Terminorganisation online, Telefon, Mail Terminbuchungsportale, Chatbots
Diagnose Haus- oder Facharztpraxis KI, z. B. Spracherkennung oder Bildbefundung, Videosprechstunde
Bahandlung Haus- oder Facharztpraxis Applikationen, KI, Videosprechstunde, DiGA 
Überwachung/Nachsorge Online, Dienstleister Telemonitoring/-visite, Applikationen, KI, Videosprechstunde

Quelle: Bolz et al. 2024, S. 92, modifiziert und erweitert

 

Im Folgenden werden ausgewählte digitale Technologien vorgestellt, die die Patienten-Journey erheblich verändern können. Dabei wird u. a. auf Symptomchecker, Videosprechstunden, Telemonitoring/-visite sowie Digitale Gesundheitsanwendungen eingegangen.  


Symptomchecker


KI-basierte Symptomchecker bieten sowohl für den Patienten als auch den Arzt einen Mehrwert gegenüber einer klassischen Anfrage in Suchmaschinen. Auf der Basis bestimmter Patientendaten werden hier die Symptome des Patienten, z. B. Brust- oder Bauchschmerzen, analysiert. Dabei wird auf riesige Datenmengen zurückgegriffen; die verwendeten Algorithmen sind lernfähig und einer fachlichen Prüfung durch Mediziner unterzogen worden. Derartige Symptomchecker können zukünftig den Arzt bei der Diagnosestellung unterstützen und bieten z. B. einen Mehrwert bei Hausbesuchen, wo für den Arzt das gesamte verfügbare Wissen immer verfügbar ist, oder bei der Erkennung einer seltenen Erkrankung (vgl. Deutsche Apotheker- und Ärztebank o. J., S. 13f.). Es gilt gleichwohl zu prüfen, welche Effekte Symptomchecker auf die Patientensicherheit haben. Die Qualität der Diagnosen unterschiedlicher Systeme unterscheidet sich teilweise erheblich und wird tw. noch als gering eingestuft; gleichwohl scheint die Nutzerzufriedenheit hoch zu sein (vgl. Chambers et al. 2019, S. 1).  

Auf KI basierende Chatbots haben bereits in der Corona-Pandemie eine wesentliche Rolle gespielt. Die Veränderung des Gesundheitszustands einer Person wirkt sich in der Regel auf die Stimme der Person aus. Darüber hinaus kann die Stimme als Indikator für Gefühlszustände, zum Beispiel Traurigkeit, Stress oder Angst herangezogen werden (vgl. Sing 2023, o. S.).


Videosprechstunde


Videosprechstunden haben in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen und könnten zukünftig eine Standardversorgung für zahlreiche Patienten darstellen. Grundsätzlich können alle Arztgruppen eine Behandlung per Videochat oder Telefon anbieten, sofern sie direkten Patientenkontakt haben. Im Bereich der Psychotherapie sind Videosprechstunden nur möglich, wenn bereits eine Therapie gestartet wurde. Eine Kostenerstattung seitens der GKV (Gesetzlichen Krankenversicherung) für diese digitale Form des Arztbesuchs ist grundsätzlich möglich. Für den Patienten lassen sich Wartezeiten und Anfahrtswege vermeiden, Besuche in der Notfallaufnahme oder einer Arztpraxis können reduziert werden und der Zugang zu Ärztinnen und Ärzten auch an entfernten Orten wird verbessert. Gleichwohl lässt sich die körperliche Untersuchung nicht immer ersetzen, es kann zu einer Entfremdung zwischen Arzt und Patient kommen und das Risiko einer falschen Diagnose mangels unzureichender Wahrnehmung wichtiger Symptome durch den Arzt lässt sich nicht ausschließen (vgl. O.V. 2023, o. S.). 


Telemonitoring


Ein weiteres wichtiges Anwendungsfeld kann im sogenannten Telemonitoring gesehen werden. Hier erfolgen Fernuntersuchung, -diagnose sowie -überwachung von Patientinnen und Patienten mittels spezieller Geräte. Diese Geräte können Vitaldaten, z. B. Blutdruck oder Herzfrequenz, an die Arztpraxis übertragen. Darüber hinaus können Erinnerungen zur Medikamenteneinnahme oder über anstehende Messungen bestimmter Vitalparameter erfolgen. Einsatzgebiete sind hier beispielsweise die Diabetologie oder die Kardiologie. Von besonderer Bedeutung sind derartige Anwendungen beispielsweise bei Patienten mit Herzschrittmacher oder einem implantierten Cardioverter Defibrillator (ICD) (vgl. Frodl 2022, S. 360f.). Im Rahmen der Nachsorge kann die sogenannte Televisite eine interessante Form der ambulanten, postoperativen Nachsorge auf Basis der Telemedizin darstellen. Mittels Computer, Digitalkamera oder Mikrofon werden vom Patienten beispielsweise Wundfotos oder Informationen zur Wundheilung und Wundschmerzen an das ambulante Operationszentrum, dass die Operation durchgeführt hat, übertragen und überwacht. Damit verbundene Fragen werden seitens des Praxisteams beantwortet. Auf diese Art und Weise können größere Patientenzahlen betreut werden, die Auslastung der Praxis lässt sich verbessern und der Patient kann sich in der häuslichen Umgebung aufhalten (Vgl. Frodl 2022, S. 361).


DiGA 


Das Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) am 19.12.2019 bildet die Basis für die „App auf Rezept“. GKV-Versicherte haben damit einen Leistungsanspruch im Hinblick auf die Verordnung entsprechender DiGA (vgl. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 2023, S. 8) Durch die DiGA wird ein breites Indikationsspektrum abgedeckt - Anwendungen finden sich beispielsweise im Bereich der Krebserkrankungen, bei Burnout oder Wirbelsäulenerkrankungen. Psychische Erkrankungen bilden dabei ein Schwerpunkt (vgl. Maier 2024 et al., S. 94).
 


Beitragsserie

In unserer Serie beleuchten Experten der Hochschule Neu-Ulm verschiedene praxisrelevante Themen für Sie.

Haben Sie Interesse? Hier finden Sie alle Fachbeiträge der HNU im Überblick.

Ausblick: Im nächsten Beitrag geht es um weitere Themen zur Digitalisierung in der Patientenversorgung.

  



Literatur:

Berghold, A. et al. (2022), Tech-Giganten im Gesundheitswesen, Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.), online verfügbar unter: www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/VV_Tech-Giganten_im_Gesundheitswesen1.pdf, abgerufen am 1.4.2023.  

Bolz, T. et al. (2024, Digital Patient Journey Mapping – Technologien und  Touchpoints, in: O’Gorman, S./Schuster, G. (Hrsg.), Customer Centricity. Innovative Unternehmenspraxis: Insights, Strategien und Impulse, Springer Gabler, Wiesbaden, S. 85-95.  

 Brönneke, J. B./Debatin, J. F. (2022), Digitalisierung im Gesundheitswesen und ihre Effekte auf die Qualität der Gesundheitsversorgung, in: Bundesgesundheitsblatt, Heft 65, S. 342–347, online verfügbar unter: link.springer.com/article/10.1007/s00103-022-03493-3, abgerufen am 28.3.2024.  

 Bundesärztekammer (2021), Thesen zur Weiterentwicklung der ärztlichen Patientenversorgung durch Digitalisierung, online verfügbar unter: www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Themen/Digitalisierung/2021-01-15_Positionspapier_Thesen-Digitalisierung-Versorgung_final.pdf, abgerufen am 1.4.2023.  

 Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (2023), Das Fast-Track-Verfahren für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) nach § 139e SGB V. Ein Leitfaden für Hersteller, Leistungserbringer und Anwender, Version 3.5 vom 28.12.2023, online verfügbar unter: www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/D/DiGA-Leitfaden_2020.pdf  , abgerufen am 2.6.2024.  

 Chambers D, et al. Digital and online symptom checkers and health assessment/triage services for urgent health problems: systematic review, in: BMJ Open 2019; 9:e027743, online verfügbar unter: doi:10.1136/bmjopen-2018-027743, abgerufen am 23.3.2024.  

 Deutsche Apotheker- und Ärztebank (o.J.) (Hrsg.), Digitalisierung in der Praxis. Tipps und Tricks für Ihren Arbeitsalltag – Teil 2, Düsseldorf, verfügbar unter: www.apobank.de/dam/jcr:08ec99ab-f869-46b6-81f7-5cc1b854ef27/digitale-praxis-ratgeber-teil-2.pdf , abgerufen am 1.3.2023.  

 Frodl, A. (2022), Praxisführung für Arzt- und Zahnarztpraxen: Kosten senken, Effizienz steigern, Springer Gabler, Wiesbaden.  

 Hassel, J. (2024), Patientenzentrierung in der digitalen Transformation – Sind wir bereit dafür?, in: McKinsey & Company/Padmanabhan, P./Redlich, M./Richter, L./Silberzahn, T. (Hrsg.), E-Health Monitor 2023/24, MWV Verlag, Berlin, S. 111-117.  

 Klar, A. et al. (2024), Going Beyond Digital: Why Hybrid Care is the Future of Health Care, Boston Consulting Group, Whitepaper, online verfügbar unter: media-publications.bcg.com/BCG-Whitepaper-Going-Beyond-Digital-Why-Hybrid-Care-is-the-Future-of-Health-Care.pdf , abgerufen am 25.3.2024.  

 Maier, L. et al. (2024), Akzeptanz und Nutzung digitaler Gesundheitslösungen, in: McKinsey & Company/Padmanabhan, P./Redlich, M./Richter, L./Silberzahn, T. (Hrsg.), E-Health Monitor 2023/24, MWV Verlag, Berlin, S. 87-102.  

 Nazir, T (2022) Artificial intelligence assisted acute patient journey, in: Front. Artif. Intell., Volume 5, online verfügbar unter: doi: 10.3389/frai.2022.962165, abgerufen am 24.3.2024.  

 O.V. (2020), KI in der Medizin: Chancen und Herausforderungen, in: VR-MedInfo, Ausgabe 1, 2020, S. 10-11, online verfügbar unter: www.volksbank-bi-gt.de/content/dam/f4125-0/downloads/firmenkunden/MedInfo_BiGue_010_ok_low.pdf , abgerufen am 24.3.2024.   

 O.V. (2021), Minikliniken bald auch in deutschen Apotheken?, in: Apotheke adhoc, 25.2.2021, online verfügbar unter: www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/markt/minikliniken-bald-auch-in-deutschen-apotheken/, abgerufen am 23.3.2024.  

 O.V. (2022a), Helios stellt mobile medizinische Walk-In Einheit vor, kma online, 14.3.2002, online verfügbar unter: www.kma-online.de/aktuelles/it-digital-health/detail/helios-stellt-mobile-medizinische-walk-in-einheit-vor-47396, abgerufen am 1.4.2023.  

 O.V. (2022b), Otto Group steigt in Digital Health Branche ein, kma online, 14.3.2022, online verfügbar unter: www.kma-online.de/aktuelles/wirtschaft/detail/otto-group-steigt-in-digital-health-branche-ein-47241, abgerufen am 2.4.2023.  

 O.V. (2023), Online zum Arzt: Wie funktioniert die Videosprechstunde?, online verfügbar unter: www.stiftung-gesundheitswissen.de/gesundes-leben/patient-arzt/wie-funktioniert-die-videosprechstunde, abgerufen am 1.4.2024  

 Poalelungi, D. G. et al. (2023), Advancing Patient Care: How Artificial Intelligence Is Transforming Healthcare, in: J. Pers. Med. 2023, 13, S. 1-.14, online verfügbar unter: doi.org/10.3390/jpm13081214, abgerufen am 25.3.2024.  

 Porter, M.E. (2010), What is value in health care?, in: New England Journal of Medicine, Volume 363, No. 26, S. 2477-2481.  

 Rosalia, R. A./Wahba, K./Milevska-Kostova, N. (2021), How digital transformation can help achieve value-based healthcare: Balkans as a case in point, in: The Lancet Regional Health - Europe 4, 100100, online verfügbar unter: www.thelancet.com/action/showPdf, abgerufen am 29.3.2024  

 Sing, B. (2023), The Future Of Voice Technologies In Healthcare, Forbes Technology Council, 13. Februar 2023l online verfügbar unter: www.forbes.com/sites/forbestechcouncil/2023/02/13/the-future-of-voice-technologies-in-healthcare/, abgerufen am 3.4.2023


  


MULTI-DE-05845