In der Praxis
Digitalisierung in der Patientenversorgung
Autor:
Professor Dr. Patrick Da-Cruz
Praxisbeauftragter Betriebswirtschaft im Gesundheitswesen
Studiengangleitung Führung und Management im Gesundheitswesen
Leiter des Weiterbildungsprogramms Digitalisierung und KI im Gesundheitswesen
Mitglied im Institut für Vernetzte Gesundheit
In Kooperation mit der Hochschule Neu-Ulm
Lesedauer: 4 min
Das Wichtigste in Kürze
- Verbesserung der Versorgung: Digitale Lösungen können die Qualität der Patientenversorgung durch umfassende Datenerhebung und -nutzung verbessern.
- Patientensicherheit und Künstliche Intelligenz: Digitale Anwendungen und KI können die Patientensicherheit erhöhen und personalisierte Medizin ermöglichen.
- Herausforderungen: Datenschutz, Cyberattacken und ethische Fragen sind zentrale Herausforderungen der Digitalisierung im Gesundheitswesen.
- Neue Akteure: Technologieunternehmen und Finanzinvestoren treiben die Digitalisierung voran und verändern die Strukturen im Gesundheitswesen.

Chronisch kranke Patienten können in besonderem Maße durch digitale Angebote profitieren (vgl. Hassel 2024, S. 115). Digitale Lösungen in der Patientenversorgung haben das Potenzial, die Qualität der Versorgung zu verbessern. Die Qualitätseffekte ergeben sich einerseits aus der Möglichkeit, umfassend Daten zu erheben und andererseits der Option, diese Daten zeit- und ortsabhängig zu nutzen bzw. bereitzustellen (vgl. Brönneke/Debatin 2022, S. 344). Im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Versorgung in Richtung „Value Based Healthcare“ (vgl. zu Value Based Healthcare bspw. Porter 2010) wird davon ausgegangen, dass digitale Innovation im Bereich der Gesundheitsversorgung auch einen entsprechenden Beitrag leisten, z. B. durch eine bessere Transparenz über individuelle Behandlungspfade (vgl. Rosalia/Wahba/ Milevska-Kostova 2021, S. 2).
Chancen und Risiken der Digitalisierung in Praxen
Auf der einen Seite können digitale Anwendungen die Qualität und damit Patientensicherheit verbessern. Auf der anderen Seite hat KI darüber hinaus große Potenziale im Bereich personalisierter Medizin (vgl. o. V. 2020, S. 10). Die Befundung radiologischer Bilder, die Unterstützung bei der Diagnose seltener Erkrankungen, die Durchführung virtueller klinischer Studien oder die Früherkennung von Seuchen stellen weitere KI-Anwendungen dar, die teilweise bereits genutzt werden (vgl. o. V. 2020, S. 11). Gerade der breitflächige Einsatz von KI-Anwendungen in der Medizin bietet darüber hinaus auch die Möglichkeit, den Zugang zu medizinischen Leistungen zu verbessern und die Bezahlbarkeit dauerhaft zu gewährleisten (vgl. Poalelungi 2023 et al., S. 1). Die Digitalisierung der Patientenversorgung ist jedoch auch mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. Die Gewährleistung der Privatsphäre des Patienten, Cyberattacken, Datenmissbrauch oder -diebstahl seien hier exemplarisch genannt. Darüber hinaus stellen sich diverse ethische Fragen. Die Nutzung digitaler Tools erfordert teilweise erhebliche Investitionen, die in zahlreichen Ländern kurzfristig nicht realisierbar sein dürften und damit bereits existierende Ungleichgewichte verschärfen könnten (vgl. Nazir et al. 2022, S. 6).
Neue Akteure in der digitalen Patientenversorgung
Die Digitalisierung der Patientenversorgung wird mittlerweile immer stärker auch durch neue Akteure, zum Beispiel Finanzinvestoren und in besonderem Maße Technologieunternehmen vorangetrieben. Gerade Technologieunternehmen verfügen über eine enorme Marktmacht und können daher die Angebotsstrukturen im Bereich Gesundheitsdienstleistungen erheblich verändern. Denkbar ist hier eine deutliche Verschiebung der Gesundheitswertschöpfung von der Therapie hin zu Prävention, Prädiktion und individualisierter Medizin. Die Sektorengrenzen werden dabei durchlässiger und die Versorgung letztlich patientenzentrierter. Technologieunternehmen können im Rahmen der Entwicklung von Gesundheitsprodukten und Dienstleistungen auf riesige Datenbestände aus verschiedensten Lebensbereichen zurückgreifen, Prognosen über die zukünftigen Bedarfe an Diagnostik und Therapie oder Prävention abzuleiten. Die Datenerhebung erfolgt vielfach auf Basis von Produkten, die die Technologieunternehmen selbst vertreiben, zum Beispiel Smartphones oder Wearables. Darüber hinaus sind sie bereits in der Gesundheitsforschung, teilweise auch im Betrieb von Gesundheitseinrichtungen und Krankenversicherungen aktiv (vgl. Berghold et al. 2022, S. 5).
Innovative Ansätze in der ambulanten Patientenversorgung
Insbesondere im ambulanten Bereich finden sich mittlerweile auch weitere Akteure aus dem Gesundheitswesen oder sonstigen Branchen mit innovativen Ansätzen für die Patientenversorgung, die digitale und Präsenzangebote integrieren. So soll beispielsweise das Cube Konzept der Helios Kliniken diverse Diagnostikinstrumente (zum Beispiel Ultraschall oder Blutdruckmessung) in einer adaptierbaren, physischen Einheit breitflächig zur Verfügung stellen. Patienten erhalten im Cube erforderliche Untersuchungen durch Fachkräfte. Kooperierende Ärzte erhalten die Untersuchungsergebnisse via App und im Nachgang kann die Therapie begonnen werden (vgl. O.V. 2022a, o. S.). Erst kürzlich hat sich der international agierende Handels- und Dienstleistungskonzern Otto Group mehrheitlich am Schweizer Unternehmen Medgate beteiligt. Dabei handelt es sich um einen Anbieter digitaler Gesundheitsdienstleistungen, unter anderem im Bereich Telemedizin (vgl. O.V. 2022b, o. S.). Medgate hat bereits vor einigen Jahren in der Schweiz das Konzept der sogenannten Minikliniken entwickelt. Hierbei handelt es sich um niedrigschwellige Gesundheitsangebote, die zum Beispiel in Apotheken integriert sind. Ärztliche Fachangestellte übernehmen hier einfache Maßnahmen, wie beispielsweise die Wundkontrolle, und werden im Hintergrund telemedizinisch von einem Arzt beraten (vgl. O.V. 2021, o. S.).
Veränderung im ärztlichen Berufsbild durch Digitalisierung
Im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Arztpraxis sowie der Nutzung künstlicher Intelligenz im Rahmen der Patientenversorgung wird sich auch das ärztliche Berufsbild sowie das Selbstverständnis der Ärztinnen und Ärzte verändern. Darauf hat die Bundesärztekammer bereits 2021 hingewiesen. Ärztinnen und Ärzte müssen zukünftig verstärkt über ein Basiswissen im Bereich digitale Anwendungen verfügen. Aus-, Weiter- sowie Fortbildungen im ärztlichen Bereich müssen diese Digitalkompetenz entsprechend integrieren. Auch die Beziehung zum Patienten dürfte sich verändern. Klassische ärztliche Tätigkeiten zum Beispiel die Beratung und Begleitung des Patienten werden bedeutsamer. Der Arzt wird verstärkt die Rolle eines „digitalen Lotsen in gesundheitlichen Fragen“ übernehmen, zum Beispiel auch bei der Auswahl oder Nutzung von digitalen Anwendungen. Für die Ärztin bzw. den Arzt wären hier Entscheidungsunterstützungssysteme (Decision Support Systems) wünschenswert, die den Ärzten aktuelles Wissen zur Verfügung stellen (vgl. Bundeärztekammer 2021, S. 13). Die auf dem Wissensvorsprung des Arztes basierende Monopolstellung wird folglich zukünftig verstärkt hinterfragt. Arztpraxen werden es zukünftig immer häufiger mit Patientinnen und Patienten zu tun haben, die sehr gut im Voraus informiert sind und ggf. auf Basis von KI erstellte Diagnosen mitbringen. Der Aufwand, der im Zusammengang mit der ärztlichen Beratung auftritt, dürfte sich damit erhöhen. Gleichzeitig steigt die Bedeutung valider, qualitätsgeprüfter Gesundheitsinformationen (vgl. Bundesärztekammer 2021, S. 11). Vor dem Hintergrund dieser neuen Aufgaben stellt sich schließlich auch die Frage nach einer Anpassung der existierenden Vergütungssysteme (vgl. Bundeärztekammer 2021, S. 22).
Beitragsserie
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Literatur:
Berghold, A. et al. (2022), Tech-Giganten im Gesundheitswesen, Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.), online verfügbar unter: www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/VV_Tech-Giganten_im_Gesundheitswesen1.pdf, abgerufen am 1.4.2023.
Brönneke, J. B./Debatin, J. F. (2022), Digitalisierung im Gesundheitswesen und ihre Effekte auf die Qualität der Gesundheitsversorgung, in: Bundesgesundheitsblatt, Heft 65, S. 342–347, online verfügbar unter: link.springer.com/article/10.1007/s00103-022-03493-3, abgerufen am 28.3.2024.
Bundesärztekammer (2021), Thesen zur Weiterentwicklung der ärztlichen Patientenversorgung durch Digitalisierung, online verfügbar unter: www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Themen/Digitalisierung/2021-01-15_Positionspapier_Thesen-Digitalisierung-Versorgung_final.pdf, abgerufen am 1.4.2023.
Hassel, J. (2024), Patientenzentrierung in der digitalen Transformation – Sind wir bereit dafür?, in: McKinsey & Company/Padmanabhan, P./Redlich, M./Richter, L./Silberzahn, T. (Hrsg.), E-Health Monitor 2023/24, MWV Verlag, Berlin, S. 111-117.
Nazir, T. et al. (2022) Artificial intelligence assisted acute patient journey, in: Front. Artif. Intell., Volume 5, online verfügbar unter: doi: 10.3389/frai.2022.962165, abgerufen am 24.3.2024.
O.V. (2020), KI in der Medizin: Chancen und Herausforderungen, in: VR-MedInfo, Ausgabe 1, 2020, S. 10-11, online verfügbar unter: www.volksbank-bi-gt.de/content/dam/f4125-0/downloads/firmenkunden/MedInfo_BiGue_010_ok_low.pdf , abgerufen am 24.3.2024.
O.V. (2021), Minikliniken bald auch in deutschen Apotheken?, in: Apotheke adhoc, 25.2.2021, online verfügbar unter: www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/markt/minikliniken-bald-auch-in-deutschen-apotheken/, abgerufen am 23.3.2024.
O.V. (2022a), Helios stellt mobile medizinische Walk-In Einheit vor, kma online, 14.3.2002, online verfügbar unter: www.kma-online.de/aktuelles/it-digital-health/detail/helios-stellt-mobile-medizinische-walk-in-einheit-vor-47396, abgerufen am 1.4.2023.
O.V. (2022b), Otto Group steigt in Digital Health Branche ein, kma online, 14.3.2022, online verfügbar unter: www.kma-online.de/aktuelles/wirtschaft/detail/otto-group-steigt-in-digital-health-branche-ein-47241, abgerufen am 2.4.2023.
Poalelungi, D. G. et al. (2023), Advancing Patient Care: How Artificial Intelligence Is Transforming Healthcare, in: J. Pers. Med. 2023, 13, S. 1-.14, online verfügbar unter: doi.org/10.3390/jpm13081214, abgerufen am 25.3.2024.
Porter, M.E. (2010), What is value in health care?, in: New England Journal of Medicine, Volume 363, No. 26, S. 2477-2481.
Rosalia, R. A./Wahba, K./Milevska-Kostova, N. (2021), How digital transformation can help achieve value-based healthcare: Balkans as a case in point, in: The Lancet Regional Health - Europe 4, 100100, online verfügbar unter: www.thelancet.com/action/showPdf, abgerufen am 29.3.2024