BEITRAGSSERIE MIT DER HOCHSCHULE NEU-ULM

Demografischer Wandel und die Zukunft der Arztpraxis


Autor: Professor Dr. Patrick Da-Cruz
Praxisbeauftragter Betriebswirtschaft im Gesundheitswesen
Studiengangleiter MBA Betriebswirtschaft für Ärztinnen und Ärzte
Mitglied im Institut für Vernetzte Gesundheit
Studiengangleitung Führung und Management im Gesundheitswesen
In Kooperation mit der Hochschule Neu-Ulm

Lesedauer: 2,5 min
  

Das Wichtigste in Kürze

  • Der demografische Wandel hat erhebliche Auswirkungen auf Arztpraxen. Durch einen sich verändernden Gesundheitszustand in der Bevölkerung sind Praxen mit einer veränderten Nachfrage und einer Anpassung ihres Behandlungsspektrums konfrontiert.
  • Es besteht ein zunehmender Bedarf an Nachfolgeregelungen. Prognosen gehen davon aus, dass 2035 rund 11.000 Hausarztstellen nicht besetzt sein werden.
  • Junge Medizinerinnen und Mediziner präferieren einen langsamen Praxisübergang mit entsprechender Einarbeitung und Unterstützung durch erfahrene niedergelassene Ärzte.
  • Die Digitalisierung und künstliche Intelligenz sowie nichtärztliche Berufsgruppen könnten eine Rolle bei der Sicherstellung der zukünftigen ärztlichen Versorgung spielen.
  • Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für die derzeitige Generation von Medizinstudierenden von wesentlicher Bedeutung. Insgesamt steigt der Anteil von Frauen im Arztberuf.
     

  


Die Rahmenbedingungen der ambulanten ärztlichen Versorgung haben sich in den letzten Jahren deutlich verändert und werden auch zukünftig durch erheblichen Wandel gekennzeichnet sein. Exemplarisch können hier der demografische Wandel, die Veränderungen des Berufsbildes, der allgemeine Trend zur Ambulantisierung im Gesundheitswesen, der Eintritt der Generation Z in den Arbeitsmarkt, die ärztliche Versorgung in der Fläche, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) in der Versorgung, z. B. im Rahmen von Videosprechstunden, oder die Bildung von MVZ-Ketten genannt werden. Dabei wird in der öffentlichen Diskussion vielfach eine zunehmende Ökonomisierung moniert, bspw. als Folge des zunehmenden Engagements von Finanzinvestoren in der ambulanten Versorgung. Ärztinnen und Ärzte sehen sich darüber hinaus immer häufiger mit Patientinnen und Patienten konfrontiert, die sich mittels digitaler Medien auf ihren Arztbesuch vorbereiten, diesen bewerten und klare Erwartungen an die medizinische Dienstleistung sowie die Servicequalität haben. Vor dem Hintergrund der skizzierten Veränderungen der Rahmenbedingungen erscheint es unabdingbar, dass sich einzelne Praxen in ihrem jeweiligen Wettbewerbsumfeld positionieren, um qualitative hochwertige Medizin wirtschaftlich anbieten zu können.

Auch wenn niedergelassene Ärztinnen und Ärzte grundsätzlich unternehmerisch agieren, sind hier klassische Marktmechanismen, die eine Preisbildung für medizinische Leistungen auf Basis von Angebot und Nachfrage ermöglichen, kaum wirksam. Vielmehr ist die ambulante Versorgung stark reguliert und die gesetzlichen Rahmenbedingungen verändern sich kontinuierlich. Vor diesem Hintergrund ist es ausgesprochen herausfordernd, den Überblick über alle relevanten Änderungen zu behalten (vgl. Fischer 2021, S. 3). Nachfolgend werden wesentliche Rahmenbedingungen erörtert, wobei der Schwerpunkt auf demografische Veränderungen und das zukünftige Berufsbild gelegt werden soll.


Demografischer Wandel in Praxen


Der demografische Wandel hat grundsätzlich auch für Arztpraxen erhebliche Auswirkungen, v. a. auch im Hinblick auf das zu behandelnde Krankheitsspektrum. Der Gesundheitszustand der Bevölkerung hat sich in den letzten Jahren bereits verändert und damit einhergehend kann es zu einem veränderten Nachfragemuster kommen, mit dem die Praxis konfrontiert ist. Es gilt in der Folge, das eigene Behandlungsspektrum an eine sich verändernde Nachfrage anzupassen. Ob und wie weit eine einzelne Praxis hier betroffen ist, hängt dabei auch vom Einzugsgebiet bzw. Standort ab (vgl. Frodl 2016, S. 65f.). Ggf. sind der Aufbau bzw. die Integration weiterer fachlicher Kompetenzen sowie Kooperationen mit anderen Leistungserbringern, z. B. Physiotherapeuten, Logopäden oder Apothekern oder Sanitätshäusern erforderlich.

Der demografische Wandel betrifft allerdings nicht nur Patientinnen und Patienten, sondern auch das Praxisteam, d. h. insbesondere das ärztliche Personal sowie die Assistenzberufe. Am Beispiel der hausärztlichen Versorgung lässt sich das sehr plastisch veranschaulichen. So war bereits 2019 jeder siebte Hausarzt älter als 65 Jahre. Prognosen gehen davon aus, dass 2035 rund 11.000 Hausarztstellen nicht besetzt sein werden. In der Konsequenz wäre jeder fünfte Kreis hausärztlich unterversorgt (vgl. Nolting et al. 2021, S. 8). Ärztinnen und Ärzte der Nachkriegsgeneration werden zu großen Teilen bis ca. 2025 aus ihrem Beruf ausscheiden. Angesichts der zunehmenden Zahl ausscheidender Ärztinnen und Ärzte gilt es, das Thema Nachfolge möglichst rasch zu lösen. Junge Medizinerinnen und Mediziner präferieren einen langsamen Praxisübergang mit entsprechender Einarbeitung und Unterstützung durch erfahrene niedergelassene Ärztinnen und Ärzte (vgl. Kassenärztliche Bundesvereinigung 2019, S. 99).


Zukunft der medizinischen Versorgung


Da es nicht immer Nachfolgeregelungen geben wird, stellt sich unweigerlich die Frage, ob und wie die ärztliche Versorgung in der Zukunft sichergestellt werden kann. Immer häufiger wird in diesem Zusammenhang auch auf die Potenziale der Digitalisierung/künstlicher Intelligenz sowie nichtärztlicher Berufsgruppen im Rahmen der ambulanten Versorgung hingewiesen. In den letzten Jahren hat die Akademisierung der Gesundheitsberufe in bestimmten Berufsgruppen bereits an Fahrt aufgenommen, z. B. bei Hebammen, und dürfte in der Zukunft häufiger auch zu Diskussionen über die Aufgabenverteilung zwischen den Berufsgruppen führen. Des Weiteren übernehmen Apotheken mittlerweile bspw. ausgewählte Impfungen.

Der Themenkomplex Delegation (und Substitution) von ärztlichen Aufgaben und Leistungen an nichtärztliche Fachexperten wird dabei gerade von angehenden Ärztinnen und Ärzten differenziert diskutiert und nicht kategorisch abgelehnt (vgl. Kassenärztliche Bundesvereinigung 2019, S. 98). Hier wäre zu hoffen, dass sich neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Ärztinnen und Ärzten sowie nichtärztlichen Berufsgruppen finden lassen, die tatsächlich den Patientennutzen in den Vordergrund stellen und darüber hinaus Mitarbeiterrekrutierung und -bindung in der Arztpraxis unterstützen. In unterversorgten Regionen Deutschlands dürfte die Frage nach dem verstärkten Einsatz nichtärztlicher Fachexperten in der Ambulanz zwangsläufig zu neuen Versorgungsformen führen, ggf. auch in Kombination mit telemedizinischen Angeboten.

Die Versorgungsfrage ist auch deshalb von besonderer Bedeutung, da sich das Berufsbild der Ärztin bzw. des Arztes als „Einzelkämpferin bzw. Einzelkämpfer“ in Vollzeit mit regelmäßigen Überstunden erheblich verändert hat.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die u. a. flexible und familienfreundliche Arbeitszeitmodelle voraussetzt, ist für die derzeitige Generation Medizinstudierenden essentiell. Vor dem Hintergrund, dass die Medizin bereits heute „weiblich“ ist, ist dies bestens nachvollziehbar (Kassenärztliche Bundesvereinigung 2019, S. 36). Die eigene Niederlassung ist nach wie vor für zahlreiche Ärztinnen und Ärzte keine Option. Das hohe Investitionsvolumen, die Bürokratie, Wirtschaftlichkeitsprüfungen oder Regressrisiken können hier entsprechend abschreckend wirken (vgl. Kassenärztliche Bundesvereinigung 2019, S. 98). Vielmehr wird, v. a. auch von Ärztinnen, eine Tätigkeit im Angestelltenverhältnis präferiert, da damit geregelte Arbeitszeiten, Möglichkeiten zum Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, ein tätigkeits- und verantwortungsbasiertes Einkommen sowie angemessene Kinderbetreuungsmöglichkeiten assoziiert werden (vgl. Kassenärztliche Bundesvereinigung 2019, S. 99).

 


Beitragsserie

In unserer Serie beleuchten Experten der Hochschule Neu-Ulm verschiedene praxisrelevante Themen aus den Bereichen Arztrecht, Betriebswirtschaft und Digitalisierung für Sie.

Haben Sie Interesse? Hier finden Sie alle Fachbeiträge der HNU im Überblick.

Ausblick: Im nächsten Beitrag geht es um das Thema Personalmanagment in der Arztpraxis.



Die HNU ist die führende International Business School für die Region Neu-Ulm/Ulm und umfasst die Fakultäten Gesundheitsmanagement, Informationsmanagement und Wirtschaftswissenschaften sowie das Zentrum für Weiterbildung. Hier können beispielsweise Ärztinnen und Ärzte Masterstudiengänge absolvieren. 
    



Quellen:

Fischer, G. (2021), Die Arztpraxis. Erlöse optimieren - Kosten reduzieren, ecomed Medizin, Landsberg am Lech
Frodl. A. (2016), Praxisführung für Ärzte. Kosten senken, Effizienz steigern, 2. Auflage, Springer/Gabler, Wiesbaden
Kassenärztliche Bundesvereinigung (2019), Berufsmonitoring Medizinstudierende 2018,online verfügbar unter: www.kbv.de/media/sp/Berufsmonitoring_Medizinstudierende_2018.pdf abgerufen am 1.3.2023
Nolting, H.-D./Ochmann/Richard, R./Zich, K. (2021): Gesundheitszentren für Deutschland. Wie ein Neustart in der Primärversorgung gelingen kann, Stuttgart: Robert Bosch Stiftung (Hrsg.), online verfügbar unter: www.bosch-stiftung.de/de/publikation/gesundheitszentren-fuer-deutschland, abgerufen am 1.3.2023


DE-00374