Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen

Künstliche Intelligenz (KI) ist eines der größten Schlagworte der letzten Jahre. Von ihrem Einsatz in der Medizin und Pflege erwarten sich Experten neue Impulse für die Ätiologie, Epidemiologie sowie Entlastungen für Ärzte und Pflegepersonal. Zudem prognostizieren sie ein enormes wirtschaftliches Einsparpotenzial.

Im ersten Teil unserer Serie stellen wir ihnen den aktuellen Stand sowie Visionen zum Einsatz von künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen vor. Der zweite Teil beschäftigt sich mit den Herausforderungen und Grenzen von KI-Systemen.
  

Das Gesundheitssystem der Zukunft wird ohne KI nicht auskommen

   

Das Gesundheitssystem der Zukunft steht vor großen Herausforderungen: Bedingt durch eine alternde Gesellschaft, steigt die Anzahl multimorbider Patienten, gleichzeitig sinkt die Zahl der Ärzte und des Pflegepersonals. Fortschritte in der Medizin bringen Spezialtherapien hervor, die die Behandlung von bisher untherapierbaren Erkrankungen ermöglichen. Die häufig kleinen Patientenkollektive führen aber zu sehr hohen Kosten; Bereits heute werden rund 40 % aller GKV-Arzneimittelausgaben für 1 % der Patienten ausgegeben – Tendenz steigend!

Durch diese Entwicklung lastet immer mehr Druck auf Ärzten und die Arbeitslast steigt. Überarbeitung und Zeitmangel können zudem zu Fehlern bei der Arbeit führen. In England sind bereits heute 30 Prozent aller vermeidbaren Todesfälle auf Fehldiagnosen zurückzuführen und in den USA sterben jährlich über 40.000 Menschen infolge schwerer Diagnosefehler.

Kurzum: Heilberufler, allen voran Ärzte müssen in ihrer Arbeit entlastet und unterstützt werden, z. B. in dem Computer oder Roboter ihnen Routineaufgaben, wie z. B. die Erstellung von Arztbriefen oder die Personal- und Ressourcenplanung abnehmen oder zeitintensive Arbeiten verkürzen. Gleichzeitig müssen die Früherkennung von Erkrankungen sowie der rationale und ökonomische Einsatz von Diagnoseverfahren und Therapien gefördert werden. Anderenfalls wird das Gesundheitssystem der Zukunft nicht funktionsfähig und finanzierbar sein.

Große Hoffnungen werden deshalb in die KI gesetzt: Eine europaweite Studie von Price Waterhouse Coopers errechnete, dass durch den Einsatz von KI die Gesundheitskosten innerhalb von zehn Jahren um ca. 200 Milliarden Euro gesenkt werden könnten.


KI-Unterstützung in der Diagnose und Therapie

Lernende Computersysteme haben das Potential, Krankheiten in einem frühen Stadium zu entdecken und damit eine frühzeitige Prävention oder Therapie zu ermöglichen. Auf Grundlage von Gesundheitsdaten könnten Risikogruppen identifiziert werden, die von gezielten Screenings profitieren könnten. Vor allem Betroffene mit subtilen oder unspezifischen Symptomen könnten so rechtzeitig diagnostiziert werden. Eine große Rolle werden in diesem Zusammenhang auch Wearables spielen, also tragbare Computersysteme, die Daten über ihren Träger und seine Umgebung sammeln. Zurzeit wird z. B. eine Smartphone-App getestet, die über die Beschleunigungssensoren Daten über die motorischen Fähigkeiten des Nutzers während des täglichen Umgangs mit dem Smartphone sammelt. Die Forscher hoffen, so frühzeitig M. Parkinson diagnostizieren zu können.


KI kann bereits heute Ärzte in ihrer Arbeit unterstützen und entlasten. KI-Systeme können in der bildgebenden Diagnostik vorbefunden, Wahrscheinlichkeiten berechnen oder die Aussagekraft von Bildern verbessern. Außerdem werden Entscheidungsunterstützungssysteme (Decision Support Systems) schrittweise in Krankenhäusern und Arztpraxen eingesetzt werden. Sie ermöglichen es künftig, die Erfolgsrate verschiedener Behandlungsoptionen zu berechnen.

Dabei ist das System jederzeit transparent und liefert für jeden Behandlungsvorschlag eine Begründung, die auch für Laien wie Patienten und Angehörige verständlich ist. Eine wichtige Hilfe, denn in einer Welt, in der sich das medizinische Wissen ca. alle 70 Tage verdoppelt, ist es für einen Menschen unmöglich, jederzeit vollständig informiert zu sein. Außerdem ist es mithilfe von Künstlicher Intelligenz möglich, personalisiert digitale Informationen zu konsumieren. So kann beispielsweise ein Arzt zukünftig aus einem Bericht nur die Informationen angezeigt bekommen, die für ihn relevant sind. KIs können zudem bei der Recherche von Informationen helfen.

Zurzeit wird die App Ada der Berliner Ada Health GmbH in verschiedenen deutschen Kliniken mit unterschiedlichen Zielstellungen getestet. Ada ist in einer Patientenversion sowie einer Version für medizinisches Personal unter dem Namen Ada Dx verfügbar. Die Unikliniken Essen und Gießen/Marburg testen, ob mit Ada die Patientensteuerung in der Notaufnahme verbessert werden kann. Patienten sollen im Warteraum der Notfallaufnahme die App erhalten, welche dann eine Erstanamnese durchführt und dem Arzt Diagnosevorschläge macht. Der Arzt erhält Zugriff auf die Anamnesedaten sowie den Entscheidungsbaum, mit dem Ada zu den Diagnosevorschlägen gekommen ist.

Auch das Zentrum für seltene Erkrankungen der Medizinischen Hochschule Hannover erprobt die Ada Dx App, allerdings mit einer anderen Zielstellung. Die Forscher untersuchen, wie viel Zeit sich bei der Diagnose seltener Erkrankungen einsparen lässt.


Auch der personalisierten Medizin könnte KI zum Durchbruch verhelfen. Das patientenindividuelle Ansprechen auf Pharmakotherapien hängt mitunter von so vielen internen und externen Faktoren ab, dass es mehr als schwierig sein kann, die optimale Dosierung für einen Patienten zu bestimmen. KI-Algorithmen könnten zukünftig eine Korrelation unter Berücksichtigung all Einflussparameter finden und so eine optimale Dosierung ermöglichen.

In diesem Zusammenhang soll der digitale Zwilling eine wichtige Rolle einnehmen. Dabei handelt es sich um ein digitales Abbild des Patienten, das alle für die Therapie relevanten Aspekte im Computer nachbildet. Die KI analysiert das Abbild und vergleicht es mit dem digitalen Abbild eines „Durchschnittspatienten“. Sie bewertet Abhängigkeiten zwischen den Parametern, gewichtet sie und vergleicht sie schließlich mit den aufgezeichneten Therapieverläufen von Patienten mit ähnlichen Charakteristiken.

Auf dieser Grundlage macht die KI dem Arzt Therapievorschläge und begründet diese, z. B. durch Hinweise auf relevante klinische Studien.


Neue Erkenntnisse in der Ätiologie und Epidemiologie

In der Forschung fördern KIs schon heute neue Korrelationen, indem sie Merkmale zu Tage fördern, die bisher nicht mit klinischen Informationen in Verbindung gebracht wurden. Dadurch werden neue Erkenntnisse über die Pathogenese sowie neue Therapieansätze gewonnen. Darüber hinaus verspricht KI auch neue Impulse in der Erforschung und Prävention von Erkrankungen. In einer Studie aus dem Jahre 2015 sammelten israelische Forscher eine Woche lang Daten von rund 800 Personen über deren Essgewohnheiten, Blutzuckerwerte, Sportaktivitäten, Schlafgewohnheiten, Größe und Gewicht intestinalen Mikrobioms. In dieser Woche sammelten die Wissenschaftler allein über 1,5 Millionen Blutzuckerwerte. Eine KI untersuchte die gesammelten Daten dann auf Muster. Auch wenn Langzeitstudien noch fehlen, glauben die Wissenschaftler durch diese Daten individuell angepasste Diäten entwickeln zu können, die Volkskrankheiten wie Diabetes und Herzkreislauferkrankungen vorbeugen können.


Eine andere Art der Prävention beschäftigt sich mit der Vorhersage von Cholera-Epidemien, vor allem im Jemen. Die US-amerikanische Mikrobiologin Rita R. Colwell entwickelte ein Computersystem mit dem sich Choleraepidemien ca. 4 Wochen vor dem Ausbruch vorhersagen lassen. Verbesserungen des Systems sollen einen achtwöchige Vorlaufzeit ermöglichen, wodurch ausreichend Zeit für Impfungen bleiben würden.

Effizientere Arzneimittelentwicklung

Auch die Entwicklung von Arzneimitteln könnte zukünftig schneller und effizienter erfolgen. Die Verarbeitung großer Datenmengen wie z. B. des Genoms und Proteoms könnten neue Ansätze in der Entwicklung ermöglichen. Auch könnten KIs neue Struktur-Wirkungsbeziehung finden, dazu die passende räumliche Struktur von Arzneistoffkandidaten errechnen und Synthesevorschläge für diese ausarbeiten. Ganz nebenbei könnte bereits eine Prognose über cancerogene oder mutagene Eigenschaften der Substanz berechnet werden.

Einsatz in Pflege und Reha

Ein anderer wichtiger zukünftiger Einsatzschwerpunkt wird in der Pflege und der Rehabilitation und Unterstützung körperlich eingeschränkter Menschen gesehen. Soziale Roboter werden bereits heute erfolgreich in der Betreuung Demenzkranker eingesetzt. Viele Patienten bauen eine emotionale Bindung zu den Robotern auf, die mit ihnen singen, Spiele spielen oder ihnen Witze erzählen. Darüber hinaus wird an Exoskeletten geforscht, die die motorische Rehabilitation z. B. von Schlaganfallpatienten verbessern. Dazu setzt eine KI gemessene Biosignale in dazu passende Bewegungssignale um und gibt diese an ein Exoskelett weiter. Durch ein ähnliches Verfahren soll es Menschen ermöglicht werden, sich wieder ihrer Außenwelt verständlich zu machen. Facebook verspricht, dass es bis 2020 möglich sein soll, 100 Wörter pro Minute mit reiner Gedankenkraft zu schreiben und so Menschen, die weder sprechen noch tippen können, eine ganz neue Lebensqualität zu ermöglichen.

 

Fazit

Das Potenzial von KI-Anwendung ist enorm, auch wenn einiges noch nach Zukunftsmusik klingt, erwarten viele Experten, dass KI bereits in 5 Jahren zum medizinischen Alltag gehören wird.

Auch die Bundesregierung hat das Potenzial künstlicher Intelligenz erkannt. Unter dem Namen „Artificial Intelligence (AI) made in Germany“ werden bis 2025 rund drei Milliarden Euro investiert, um die künstliche Intelligenz in Deutschland voranzutreiben. Ein wichtiges Handlungsfeld dabei: der Gesundheitssektor. Von Diagnostik bis Verwaltung gibt es verschiedenste Anwendungsfelder.
  

 

Sie möchten mehr zum Thema KI erfahren? 


Hier geht es zum zweiten Teil der Beitragsserie.

 


Dr. rer. nat. Michael Rottke beschäftigt sich als promovierter Apotheker besonders gern mit medizinischen und pharmazeutischen Themen. Vor seinem Einstieg ins Marketing arbeitete er mehrere Jahre als Scientist und Laborleiter in der Arzneimittelforschung und -entwicklung der ratiopharm GmbH.



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