Digitale Gesundheitsanwendung
Was ist das?
Deutschland geht einen innovativen Weg: Jeder Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat einen Anspruch auf die Versorgung mit Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA), auch bekannt als „App auf Rezept“.
Diese werden flächendeckend durch die GKV erstattet, sofern die DiGA vom BfArM – dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte – positiv bewertet und in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen wurde. Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten können die DiGA auf einem rosa Rezept (Muster 16) verordnen. Bei Versicherten in der privaten Krankenversicherung empfiehlt es sich, die Kostenübernahme der DiGA Verordnung vorab zu klären.
Das DiGA-Verzeichnis ist seit 06. Oktober 2020 öffentlich und seither werden stetig neue DiGA gelistet, die zu Lasten der GKV verordnet werden können. Doch was steckt eigentlich genau hinter dieser Behandlungsoption und welche Anforderungen werden an eine DiGA gestellt?
DVG, DiGAV und BfArM Leitfaden: Rechtliche Grundlage für die DiGA
Der Grundstein für die DiGA wurde mit Inkrafttreten des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) am 19. Dezember 2019 gelegt. Details zur DiGA sind in der Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) umfassend geregelt und vom BfArM in Form eines Leitfadens für Hersteller, Leistungserbringer und Anwender ausgearbeitet und um Details zum Verfahren ergänzt. Der BfArM Leitfaden stellt die wesentliche Informationsquelle für diesen Beitrag dar[1].
DiGA: Digitaler Helfer für Patientinnen und Patienten
Die DiGA muss eine CE Kennzeichnung als Medizinprodukt der Risikoklasse I oder IIa aufweisen und eine medizinische Zweckbestimmung nach Medizinprodukterecht haben.
Per Definition nach DVG unterstützt die DiGA die Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder die Erkennung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen.
Nicht als DiGA gelten digitale Anwendungen zur Primärprävention, also Vorbeugung von Erkrankungen bei Gesunden.
Exkurs Medizinprodukte
Die Risiko-Klassifizierung bildet ab, welches Risiko für Patientinnen und Patienten besteht, wenn die Funktion des Medizinproduktes ausfällt oder ein Fehler auftritt. Die Klassen reichen von Klasse I (geringes Risiko) über Klasse IIa und IIb bis Klasse III (hohes Risiko). Rechtlich gesehen kann die Einstufung nach Medizinprodukte-Verordnung (MDR) oder übergangsweise noch nach Medizinprodukte-Richtlinie (MDD) erfolgen.
Eine DiGA kann auch mit anderen Leistungen oder Funktionen kombiniert sein. Der medizinische Zweck muss jedoch wesentlich durch die digitale Funktion erreicht werden. Ausgewählte Beispiele, welche Modelle einer digitalen Anwendung denkbar sind, sind im Folgenden aufgeführt.
Eine Kombination mit Geräten, Sensoren oder anderer Hardware ist möglich. Wichtiger Faktor für die Erstattung von benötigtem Zubehör für die DiGA ist, dass diese für die Erreichung des Zwecks der DiGA notwendig ist und dass es sich nicht um Gegenstände des täglichen Lebens handelt wie beispielsweise ein Smartphone. Als erstattungsfähige Hardware kann z.B. ein Brustgurt vorgesehen werden, der bei Patientinnen und Patienten mit Schlafapnoe die Atemfrequenz misst und an eine DiGA übermittelt, die diese Werte dann weiterverarbeitet und den Patientinnen und Patienten eine Anleitung für nötige diagnostische Schritte gibt.
Auch eine Kombination mit Dienstleistungen ist möglich. Eine DiGA kann vorsehen, dass Patientinnen und Patienten während der Nutzung z.B. ein Coaching oder privatärztliche Leistungen in Anspruch nehmen. Ein Beispiel dafür ist eine DiGA für Patientinnen und Patienten mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung, die vorsieht, dass Patientinnen und Patienten bei Bedarf Kontakt mit einem Chatbot zur Beratung wahrnehmen können. Diese Leistungen werden jedoch nicht von der GKV erstattet, d.h. Patientinnen und Patienten müssen sie selber tragen. Allerdings muss die DiGA auch ohne Inanspruchnahme dieser Leistung einen positiven Versorgungsnachweis zeigen.
Im Gegensatz dazu kann eine DiGA aber auch vertragsärztliche Leistungen im Zusammenhang mit der Anwendung vorsehen, die dann auch von der GKV erstattet werden. In dem Fall müssen diese vertragsärztlichen Leistungen in den Nachweis zum positiven Versorgungseffekt eingeschlossen werden. Beispielsweise kann eine DiGA für depressive Erkrankungen vorsehen, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt der Erkrankung, wie drohender schwerer depressiver Episode, ein Arzt oder Psychotherapeut automatisch eingeschaltet wird. Der Hersteller der DiGA muss in dem Fall genau beschreiben, welche Rolle und Verantwortlichkeit die Ärztin oder der Arzt bzw. die Pyschotherapeutin oder der Psychotherapeut hat. Dem ärztlichen Fachpersonal müssen dafür entsprechende Informationsmaterialien bereitgestellt werden.
Ein ganz wesentlicher Punkt ist, dass die DiGA Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt rücken und diese mit der Anwendung interagieren müssen. Mit ihrem Handeln bzw. mit der Integration der Leistung von Arzt/Psychotherapeut und Patient gemeinsam kann der medizinische Zweck erfüllt werden. Eine App, die beispielsweise rein zum Auslesen und Übermitteln von Daten dient, ist daher keine DiGA, genauso wenig wie eine Anwendung, die ausschließlich von der Ärztin oder dem Arzt bzw. der Psychotherapeutin oder dem Psychotherapeuten zur Behandlung von Patientinnen und Patienten genutzt wird.
Der Fast-Track: 3-monatiges DiGA-Prüfverfahren beim BfArM
Damit die DiGA von der GKV erstattet wird, muss sie ein Prüfverfahren beim BfArM erfolgreich durchlaufen. Erst mit anschließender Listung im sogenannten DiGA-Verzeichnis ist eine DiGA Verordnung zu Lasten der GKV möglich. Dieses Prüfverfahren ist als zügiger Fast-Track konzipiert. Das Verfahren wurde im Mai 2020 gestartet, seitdem können Hersteller ihre Anträge einreichen. Der Fast-Track sieht eine 3-monatige Bearbeitungszeit durch das BfArM nach Eingang des vollständigen Antrags vor. Die ersten erstattungsfähigen DiGA sind im Oktober 2020 in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen worden.
Das BfArM prüft die folgenden Anforderungen, die an DiGA gestellt werden:
- Sicherheit und Funktionstauglichkeit
- Qualität
- Datenschutz und Informationssicherheit
- Nachweis positiver Versorgungseffekte
Die DiGA Anforderungen werden vom BfArM überprüft und bewertet. Die Sicherheit und Funktionstauglichkeit wird in der Regel schon durch die Zertifizierung als Medizinprodukt bestätigt. Checklisten untertsützen die Hersteller dabei zu überprüfen, ob ihre DiGA alle anderen Anforderungen erfüllt. Zum Nachweis des positiven Versorgungseffekts muss der Hersteller eine Studie zu seiner DiGA einreichen.
Zu den Qualitätsanforderungen zählt beispielsweise auch die Unterstützung der Leistungserbringer. Bezieht eine DiGA eine Ärztin oder einen Arzt bzw. eine Psychotherapeutin oder einen Psychotherapeuten in die Nutzung durch Patientinnen und Patienten ein, muss der Hersteller unter anderem sehr detailliert darlegen, welche Rolle die Ärztin oder der Arzt bzw. die Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut hat sowie Verantwortlichkeiten und rechtliche Rahmenbedingungen.
Dieser Begriff wurde im Rahmen der Gesetzgebung für die DiGA neu eingeführt. Positive Versorgungseffekte sind entweder ein medizinischer Nutzen (mN) oder patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserungen (pSVV) in der Versorgung. Beim mN geht es ganz klassisch um positive Effekte auf Morbidität, Mortalität, Lebensqualität und Krankheitsdauer. Die pSVV ist ein Konzept, das Patientinnen und Patienten und ihr Gesundheitshandeln stärkt und damit positive Versorgungseffekte erzielen soll. Beispielsweise kann eine DiGA Patientinnen und Patienten mit Diabetes dabei unterstützen, ihren Lebensstil nachhaltig zu ändern oder durch eine Erinnerungsfunktion notwendige Arztbesuche wahrzunehmen. Ein anderes Beispiel ist die Adhärenz. Hier kann eine DiGA helfen, vereinbarte Therapiemaßnahmen einzuhalten. Es gibt viele weitere Beispiele, die hier genannt werden könnten.
Der Hersteller muss den Nachweis aus einem der Bereiche anhand von Studien mit definierten Anforderungen erbringen. Es ist vorgeschrieben, dass die Studie in Deutschland durchgeführt werden muss. Im Einzelfall werden Studien aus dem Ausland anerkannt, sofern Nachweise für eine Vergleichbarkeit der Versorgungssituation erbracht werden können. Weiterhin muss eine Registrierung in einem öffentlichen Studienregister sowie die Veröffentlichung der vollständigen Studienergebnisse erfolgen.
Exkurs Anforderungen an Studientypen und Studiendesigns
Für die Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis muss der Hersteller mindestens eine retrospektive vergleichende Studie vorlegen. Verglichen wird die Anwendung der DiGA mit der Nichtanwendung. Natürlich kann der Hersteller auch eine prospektive Vergleichsstudie einreichen, die grundsätzlich eine höhere Evidenzstufe aufweist. In bestimmten Fällen, wenn die DiGA ein diagnostisches Instrument, wie z.B. eine Erhebung des Schmerzempfindens, enthält, müssen auch Studien zur diagnostischen Güte eingereicht werden.
Um in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen zu werden, muss der Hersteller einen Antrag auf endgültige oder auf vorläufige Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis stellen. Davon unberührt sind die Anforderungen an Sicherheit, Funktionstauglichkeit, Qualität, Datenschutz und Informationssicherheit, die zum Zeitpunkt der Antragsstellung in beiden Fällen erfüllt sein müssen.
Für die endgültige Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis muss der Hersteller mindestens eine vergleichende Studie zum Nachweis eines positiven Versorgungsnachweises erbringen.
Für die vorläufige Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis muss der Hersteller bei Antragsstellung plausibel begründen, dass die DiGA einen Beitrag zur Verbesserung der Versorgung leistet. Hierzu müssen bereits Ergebnisse systematischer Datenauswertungen zur Nutzung der DiGA eingereicht werden. Weiterhin muss der Hersteller ein Evaluationskonzept von einer herstellerunabhängigen wissenschaftlichen Institution vorlegen, das aufzeigt, wie der Nachweis des positiven Versorgungseffektes erbracht werden soll. Die Studiendaten müssen innerhalb der folgenden 12 Monate nachgereicht werden, eine Verlängerung der Erprobungsphase ist im Einzelfall einmalig um bis zu weiteren 12 Monaten möglich.
Dieser Weg der vorläufigen Einreichung kann für eine DiGA nur einmal eingeschlagen werden. Bewertet das BfArM die nachgereichten Daten positiv, erfolgt die endgültige Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis. Wird der Antrag negativ beschieden, wird die DiGA aus dem Verzeichnis gestrichen und ist nicht weiter erstattungsfähig.
Exkurs: Preisgestaltung DiGA
Den Preis für die DiGA legt für die ersten 12 Monate nach Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis der Hersteller fest. Allerdings hat der Gesetzgeber Höchstbeträge vorgesehen. Mittels der Bildung von Indikationsgruppen soll die sogenannte „Gemeinsame Stelle“ – auf Basis der vorgenommenen Einteilung die konkreten Höchstpreisberechnungen durchführen. Kostet eine DiGA mehr als der Höchstbetrag, muss die Patientin oder der Patient zuzahlen, ähnlich, wie man es von Festbeträgen für Arzneimittel kennt. Dem Hersteller wird aber die Möglichkeit gegeben, nach Einteilung und Bestimmung des Höchstbetrags, den Preis zu senken, um eine Zuzahlung zu vermeiden.
Nach Ablauf der 12 Monate gilt ab dem 13. Monat der verhandelte Vergütungsbetrag. Dieser wird zwischen dem GKV-SV und dem Hersteller verhandelt und gilt (rückwirkend) ab dem 13. Monat nach der DiGA Listung.
Über die Vergütungsbetragsverhandlung haben der GKV-SV und die Spitzenverbände der Digitalen Gesundheitsanwendungen eine Rahmenvereinbarung getroffen. Diese regelt unter anderem den Verhandlungsablauf und das Schiedsstellenverfahren, das beauftragt werden kann, wenn sich die Parteien auf keinen Vergütungsbetrag einigen können.
Erstattung durch die GKV
Sobald eine DiGA im DiGA-Verzeichnis gelistet ist, wird eine DiGA Verordnung von der GKV erstattet. Dabei ist es unerheblich, ob sie endgültig oder vorläufig in das Verzeichnis aufgenommen wurde. Patientinnen und Patienten haben zwei Möglichkeiten: Die Ärztin oder der Arzt bzw. die Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut kann die DiGA verordnen oder sie können sich selbst eine DiGA auswählen und sich diese ohne ärztliche Verordnung, z.B. bei Nachweis der Indikation, von ihrer Krankenkasse genehmigen lassen.
DiGA-Verzeichnis des BfArM: Umfangreiche Informationen für alle Interessierten
Hier gilt das Schlagwort Transparenz. Das DiGA-Verzeichnis des BfArM verfolgt ein wesentliches Ziel: Die Bereitstellung umfassender Informationen, damit Interessierte die für sie relevanten Fragen zu einer bestimmten DiGA beantworten können.
Das Verzeichnis ist als nutzerfreundliches Webprotal aufgebaut, das es der jeweiligen Zielgruppe, wie Arzt oder Patient, erlaubt, die gewünschten Informationen schnell einsehen zu können. Das Verzeichnis ist unter folgendem Link zu finden: diga.bfram.de
Auch wenn inzwischen einige verordnungsfähige DiGA zur Verfügung stehen, können durchaus noch offene Fragen bestehen: Was sind Beispiele für DiGA? Für welche Indikation wurden/werden die positiven Versorgungseffekte nachgewiesen und welche Studien wurden/werden dazu durchgeführt? Welchen Nutzen hat die DiGA für Patientinnen und Patienten? Welche Rolle spielt die Ärztin oder der Arzt bzw. die Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut, ist sie/er in der DiGA auch als Nutzer vorgesehen? Sind mit der DiGA vertragsärztliche Leistungen verknüpft? Wieviel kostet die DiGA? Diese und viele weitere Punkte können mithilfe des DiGA-Verzeichnis beantwortet werden.
Patientinnen und Patienten können sich eine DiGA auch ohne ärztliche Verordnung von ihrer Krankenkasse genehmigen lassen. Damit sie die für sie geeignete DiGA finden und ggf. auch verschiedene DiGA vergleichen können, stehen ihnen dazu alle notwendigen Informationen zur Verfügung. Diese Informationen erstrecken sich von Ziel und Funktionen der DiGA über das Thema Datenschutz und Informationssicherheit bis hin zu Mehrkosten, die für optionales Zubehör oder andere Funktionen selbst getragen werden müssen.
DiGA-Verzeichnis: Breit gefächerte Indikationen
Im DiGA-Verzeichnis sind bisher Anwendungen zu den Kategorien Herz-Kreislauf, Hormone und Stoffwechsel, Krebs, Muskeln/Knochen/Gelenke, Nervensystem, Nieren und Harnwege, Ohren, Psyche, Verdauung und Sonstige gelistet. Hinter jeder Kategorie stehen eine oder teilweise auch mehrere DiGA zur Verfügung. Neue DiGA kommen stetig hinzu. Das DiGA-Verzeichnis ist hier einsehbar: www.diga.bfarm.de/de/verzeichnis
Fazit
DiGA eröffnen einen neuen Weg der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Patientinnen und Patienten stehen mit ihrem Handeln im Mittelpunkt und können aktiv ihren Gesundheitszustand und ihre Lebensqualität fördern. Die im Prüfverfahren bewerteten Anforderungen stellen einen hohen Standard sicher. Nun ist der Weg frei, diese Therapieform zu nutzen.
Externe Links zuletzt geprüft im März 2022
Literaturverzeichnis
[1] BfArM, „Das Fast-Track-Verfahren für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) nach §139e SGB V. Ein Leitfaden für Hersteller, Leistungserbringer und Anwender, Version 3.1 vom 18.03.2022“ [Online]. Available: www.bfarm.de/DE/Medizinprodukte/Portale/DiGA/_node.html;jsessionid=9FD042DF2951E6AAF1CE58FF051B0585.intranet382 [Zugriff im März 2022]
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