Wie wird eigentlich ein generisches Arzneimittel entwickelt?

Um diese spannende Frage zu beantworten, stand uns Dr. rer. nat. Michael Rottke Rede und Antwort. Michael verstärkt seit November 2018 das Marketing-Team der ratiopharm GmbH und hat trotz seiner Tätigkeit im Marketing einen naturwissenschaftlichen beruflichen Hintergrund. Auf sein Pharmaziestudium folgte eine Promotion im Fachbereich Pharmazeutische Technologie. Anschließend arbeitete er 6 Jahre in der Arzneimittelentwicklung und –forschung im Bereich fester Arzneiformen (Tabletten, Kapseln, amorphe disperse Systeme etc.) bevor er in den Bereich Marketing wechselte.

 


F: Beginnen wir gleich mit einer provokanten Frage: Warum müssen generische Arzneimittel überhaupt entwickelt werden? Es gibt ja schließlich bereits ein Originalprodukt. Kann man das nicht einfach nachbauen?

A: Das könnte man tatsächlich denken, ganz so einfach ist es dann aber doch nicht, denn vom Originatorprodukt kennen wir lediglich die grobe qualitative Zusammensetzung, d. h. wir wissen zwar welche Hilfsstoffe im Präparat enthalten sind, allerdings nicht die entsprechenden Mengen. Außerdem kommt hinzu, dass recht viele Hilfsstoffe in unterschiedlichen Typen erhältlich sind, die sich in ihren physiko-chemischen Eigenschaften unterscheiden. Dazu gehören z.B. die pH-abhängige Wasserlöslichkeit, die Hydrophilie bzw. Lipophilie, das Quellungsvermögen etc. Außerdem gibt es Hilfsstoffe von unterschiedlichen Herstellern und diese können sich dann auch wieder in Aspekten wie z. B. Partikelgrößenverteilung, Molekülgrößenverteilung oder Wassergehalt unterscheiden. Das sind alles Parameter, die später die Bioverfügbarkeit, Herstellbarkeit und Stabilität des Arzneimittels stark beeinflussen können.



»Partikelgrößenverteilung, Molekülgrößenverteilung oder Wassergehalt […] sind […] Parameter, die später die Bioverfügbarkeit, Herstellbarkeit und Stabilität des Arzneimittels stark beeinflussen können.«


F: Was genau sind denn Hilfsstoffe und wenn sie die Entwicklung so kompliziert machen, kann man sie dann nicht einfach weglassen?

A: Oh, das ist ein wirklich komplexes Thema mit dem man mehrere Bücher füllen kann. Kurz gesagt, helfen diese Stoffe dabei ein Arzneimittel mit den gewünschten Eigenschaften zu entwickeln. Im einfachsten Fall dient ein Hilfsstoff lediglich dazu, die Tablette aufzufüllen. Wenn ich z. B. einen Wirkstoff mit einer Dosierung von 2,5 mg habe, dann wäre eine Tablette, die nur aus Wirkstoff besteht, so klein wie ein Sandkorn. Das ist natürlich nicht handhabbar. Dann gibt es Hilfsstoffe, die ermöglichen überhaupt erst, dass eine Tablette zusammenhält, wenn sie gepresst wird. Andere Hilfsstoffe sorgen dafür, dass die Tablettenpressen beim Pressvorgang keinen Schaden nehmen. Produktionstablettenpressen sind Hochleistungs- und Präzisionsmaschinen. Sie produzieren mehrere hunderttausend Tabletten pro Stunde, da kann es schnell zu Problemen kommen, wenn die Formulierung nicht passt. Außerdem gibt es noch Hilfsstoffe die den Zerfall der Tablette fördern, den pH-Wert einstellen, den Ort sowie die Kinetik der Wirkstofffreigabe beeinflussen und noch einige mehr.
Man kann also sagen, ein Arzneistoff allein ist noch lange kein Arzneimittel. Erst die fertige Arzneiform ermöglicht die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels. Gerade neue Arzneistoffe sind zwar hochpotent aber gleichzeitig so schlecht wasserlöslich, dass sie ohne die passende Formulierung gar nicht ins Blut gelangen würden.



»[…] ein Arzneistoff allein ist noch lange kein Arzneimittel. Erst die fertige Arzneiform ermöglicht die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels.«


F: Das klingt tatsächlich ziemlich komplex.

A: Ja, das ist es auch. Die Hilfsstoffe sind jedoch nicht das einzige, was wir vom Originatorprodukt nicht richtig kennen. Das Herstellverfahren, die einzelnen Herstellschritte sowie die zugehörigen Prozessparameter sind uns ebenfalls unbekannt. Es kann z. B. einen großen Unterschied machen, ob ich eine Pulvermischung direkt verpresse oder weitere Herstellvorgänge wie z. B. Feucht- oder Trockengranulierung vorschalten muss. Auch die Frage wie stark ich ein Pulver vor dem Verpressen trockne oder mit welcher Kraft in eine Tablette verpresse kann sich auf die Bioverfügbarkeit, die Herstellbarkeit und Stabilität des Arzneimittels auswirken. Welche Hilfsstoffe in welchen Herstellschritten verwendet werden, ist meist auch unbekannt.



»[…] wie stark ich ein Pulver vor dem Verpressen trockne oder mit welcher Kraft in eine Tablette verpresse kann sich auf die Bioverfügbarkeit, die Herstellbarkeit und Stabilität des Arzneimittels auswirken.«


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